Die Erzählcafé-Aktion

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Den Schreck hatte ich vergessen

Und gerade als sich nach ein paar Monaten alles eingespielt hatte und alles etwas geruhsamer wurde, stellte ich fest, dass ich wieder schwanger war. Seltsamerweise machte mich das zunächst richtig traurig. Und das hatte absolut nichts mit den Schrecken der ersten Geburt zu tun, die hatte ich wirklich einfach vergessen, sondern ich dachte an meinen kleinen Sohn, der jetzt schon so bald meine Zeit und meine Liebe würde teilen müssen, ich hätte mir so sehr gewünscht, mich ihm wenigstens zwei Jahre weiterhin so intensiv und ausschließlich widmen zu können.  Aber ich neigte auch schon damals nicht unbedingt dazu, über Dinge zu jammern, die unabänderlich sind, also fand ich mich schnell damit ab, dass wir also bald ein weiteres Kind haben würden, und ganz langsam fing ich auch an, mich darauf zu freuen.

Inzwischen waren auch einige der anderen jungen Frauen schwanger und verhielten sich deutlich vernünftiger als ich damals - also nahm ich mir daran ein Beispiel und fuhr ab und zu nach Überlingen zu einem Frauenarzt  zu den notwendigen Untersuchungen. Und auch diese Schwangerschaft verlief absolut komplikationslos. Als Termin für die Geburt war diesmal der 10.September ausgerechnet. Da die alte Hebamme inzwischen endgültig in Rente gegangen war und ich erfreuliche Berichte über die neue junge Hebamme hörte, beschloss ich, auch mein zweites Kind wieder in Pf. zur Welt zu bringen - allen schlimmen Erfahrungen zum Trotz. Und damit sollte ich diesmal absolut richtig liegen.

Am 31.August, einem Samstag, hatten wir wieder einen Ausflug an den Bodensee gemacht, diesmal in Begleitung unseres kleinen Sohnes, der gerade seine ersten tapsigen Schritte absolvierte. Das war nicht ganz unkompliziert, weil er sich weigerte, sich in der Karre transportieren zu lassen, so begeistert war er von seiner neuen Fähigkeit, sich auf seinen eigenen zwei Beinen fortzubewegen. Folglich war das eine recht geruhsame Unternehmung, denn flott kamen wir nicht voran mit ihm. Aber nachdem wir alle zusammen noch ein Eis gegessen hatten, war er müde genug, sich zum Auto kutschieren zu lassen, wo er dann auch den Heimweg verschlief.

Und wieder fingen um Mitternacht die Wehen an - anscheinend eine von mir speziell bevorzugte Zeit dafür. Der Unterschied war nur, dass ich sofort wusste, was los war, obwohl es auch diesmal wieder etwas vorzeitig losging. Ich beobachtete die Sache also erst einmal in aller Ruhe - mir schien, dass ich noch viel Zeit hatte. Um sechs Uhr nahm ich dann den kleinen Thomas aus dem Bett, wickelte und fütterte ihn und weckte danach den jungen Vater. Es musste nämlich noch organisiert werden, dass jemand meine Mutter in Augsburg abholte, die eigentlich erst eine Woche später hatte kommen wollen. Und so ohne Telefon war das nicht eben einfach. Aber mein Mann konnte einen Freund aktivieren, der sich bereitfand, die Fahrt zu machen - zum Glück war ja Sonntag und dienstfrei. Um neun Uhr war der Freund unterwegs und mein Mann brachte mich ins Krankenhaus, um sogleich wieder umzukehren und Thomas von den Nachbarn abzuholen, wo wir ihn kurzerhand deponiert hatten.

Diesmal war alles ganz anders. Die junge Hebamme half mir enorm, sie sagte mir, wie ich atmen musste, wann ich hecheln und wann ich pressen sollte, alles ging so viel leichter als im Jahr zuvor. Als die Presswehen auf dem Höhepunkt waren, musste der anwesende Arzt einen Dammschnitt machen, um den Pfusch von der letzten Entbindung zu reparieren - aber davon merkte ich nichts, es beschleunigte nur den letzten Akt  - und um halb elf kam meine kleine Tochter zur Welt - ohne großes Tara, einfach so, ganz unkompliziert - ich glaube, dass sich da schon zeigte, dass sie ein sehr pflegeleichtes Baby und Kleinkind sein würde. Sie war wunderhübsch und längst nicht so zerknittert, wie ihr Bruder nach der Entbindung ausgesehen hatte, aber sie hatte sich ja auch nicht so lange quälen lassen müssen. Die Hebamme legte sie mir sofort auf den Bauch, ich spürte ihr Schnaufen und Nuscheln und Suchen - und ich empfand ein wunderbares Gefühl von Nähe und Wärme und Glück.

Nachdem ich - diesmal sofort - genäht worden war, wurde ich in ein helles, freundliches Zimmer gebracht, diesmal war ich allein, was ich als sehr angenehm empfand. Aber auch die kleine Susanne wurde gleich für 24 Stunden abtransportiert, anscheinend gab es die Überzeugung, dass dies das einzig Richtige war. Diesmal musste ich nur eine Woche bleiben, aber die kam mir sehr lang vor, ich sehnte mich nach meinem kleinen Sohn, der mich die ganze Zeit nicht besuchen durfte. 

Aber als wir endlich zusammen nach Hause durften, war das eine umso größere Freude. Thomas war zunächst überhaupt nicht begeistert von seiner kleinen Schwester,  er beäugte  sie misstrauisch, näherte sich ihr nur sehr vorsichtig und hielt sichere Distanz. Aber das legte sich schnell und schon nach ein paar Tagen hatte er anscheinend vergessen, dass sie irgendwann einmal noch gar nicht bei uns gewesen war und nahm sie ganz selbstverständlich hin - manchmal ein bisschen ruppig, manchmal aber auch sehr liebevoll, jedenfalls zeigte er keine Zeichen von Eifersucht, worüber ich sehr froh war. Meine Mutter reiste nach einiger Zeit ab und ich wuchs schnell in die Rolle der zweifachen Mutter hinein, jedenfalls war es erleichternd, dass ich in allen nötigen Handhabungen schon Routine hatte und es ging mir alles leichter von der Hand als ein Jahr zuvor bei meinem Sohn.

Es war 1963 und in Deutschland hörte man seit einiger Zeit von einer sogenannten Antibabypille. Ich wollte auf jeden Fall verhindern, sofort wieder schwanger zu werden und obwohl mir das sehr peinlich war, sprach ich bei einer Nachuntersuchung beim Frauenarzt das Thema an. Zu meiner Verwunderung fand er anscheinend meine Frage ganz normal und verschrieb mir die Pille anstandslos. Ich fand das toll und mich ausgesprochen fortschrittlich. Allerdings war ich viel zu schüchtern und zu gehemmt, um mit anderen Frauen darüber zu sprechen, so weiß ich auch nicht, wieweit damals in Pf. die Pille schon verbreitet war und ob ich tatsächlich die Pionierin war, als die ich mich empfand.