Die Erzählcafé-Aktion

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Die Erzählcafé-Aktion am 27.9. 2015 in Bonn

Erzählcafé Bonn, 27.9.2015

„Früher gab es Abreißmarken. Da waren in der DDR Windeln, Babykleidung usw. noch nicht frei verkäuflich, sondern wurden rationiert und nur auf Marken abgegeben. Das war im November 1956.“ So berichtete eine Mutter über ihre Erfahrungen und machte damit für die andere Gäste am Café-Tisch deutlich, wie sehr sich die Zeiten geändert haben und wie viel ‚einfacher‘ heute manches für die Eltern geworden ist.


 

Tisch: 1950 – 1960

Die Zeit der Geburt
Es war selbstverständlicher Mutter zu sein: Es gab keine Ultraschalluntersuchungen, nur bei Problemen ging man während der Schwangerschaft zur Hebamme. Nach der Geburt kam die Hebamme nur 2- 3 Wochen lang, da die Mutter meist alles schon konnte und keine Probleme hatte.
„Ich hatte immer das Gefühl, guten Kontakt zu den Kindern gehabt zu haben!“

„Man musste mindestens 8 Tage im Krankenhaus bleiben. Die Ärzte hatten früher mehr Zeit für ein Gespräch, aber bei meiner dritten Schwangerschaft hat mir der Frauenarzt Contergan gegen Kopfschmerzen verschrieben, habe sie aber nicht eingenommen aus  Bauchgefühl.“

Im Kreißsaal waren drei Frauen gleichzeitig zur Entbindung, da war man auf sich selbst geworfen.

Eine Mutter berichtete: „Geburt ohne Männer, das habe ich damals als problemlos empfunden.“ Während eine andere Frau das anders erlebt hatte: „Damals waren uneheliche Kinder nicht erwünscht und Männer hatten im Kreißsaal nichts zu suchen. Bis zum Ende der Schwangerschaft habe ich gearbeitet, weil ich das Geld brauchte.“

„Ich hatte vor der Geburt wegen meiner Kinderlähmung Angst. Mir fehlten Informationen von den Ärzten.“

Babys wurde direkt nach der Geburt weggenommen zur Versorgung, kamen ins Säuglingszimmer. Babys kamen erst nach 1-2 Stunden zum 1. Anlegen, dadurch hat sich die Mutter gemacht. „Wenn das Baby zum Stillen gebracht wurde, habe ich extra langsam gemacht, damit das Baby möglichst lange bleiben durfte!“

Der Alltag mit Kindern
„Damals stillte man wenn überhaupt ungefähr 3 Monate, danach gab es Haferschleim, immer frisch gekocht. Das Impfen war Standard und es gab  noch keine U-Untersuchungen.“

Früher war der Alltag anders: „Es gab mehr Haushaltsarbeit und kostete mehr Zeit, da es keine Helferlein gab, wie Waschmaschine, Spülmaschine usw..“

Die Rollen waren klar verteilt…
„Ich habe mir trotzdem immer Zeit für die Kinder genommen, z.B. um zum Spielplatz zu gehen, die Hauptarbeit habe ich erledigt, wenn Kinder morgens und abends schliefen.“

Mutter von drei Kindern: „Ich hatte keine Hilfe von der eigenen Mutter und konnte niemanden fragen, da meine eigenen Eltern wirklich hinterwäldlerisch waren.“

„Ich hatte genug Vorerfahrungen durch  viele Geschwister.“

Armut in der Nachkriegszeit: „Man bekam 40 DM Startkapital für Säuglingsausstattung und hoffte auf abgelegte Sachen von Bekannten.“

Baby-Wickeln: „ Ich erinnere mich noch gut an das Falten der Baumwollwindeln und Molton-Bauchtuch drum herum. Die wurden jeden Tag gewaschen, im Wecktopf.“
 

Tisch: 1960 – 1970

„Es war klar, dass das Kind zur Familie gehört“

1955 – Geburt als Krankenhausleistung von der Krankenkasse anerkannt, Betreuung durch Hebamme nach der Geburt. „Bei einer Brustentzündung hieß es sofort: Abstillen & fertig!“
1964 – Überlegung der Landhebamme, ob sie Geburtsvorbereitungskurse initiieren sollte
1962 und 1966 Kinder geboren - „Man bekam das Kind und wusste eigentlich gar nicht Bescheid. Ich habe mir wenig bzw. keine Gedanken gemacht zum ungeborenen Kind, ich war arbeiten.“
1967 – Geburt auf dem Land: Es gab Hausgeburten, aber die moderne Frau ging in die Klinik. „Hausgeburt war altmodisch“

Man hat sich keine Gedanken über Erziehung usw. gemacht, Bindungsförderung war kein Thema. Empfehlungen und Anweisungen der Experten wurden nicht hinterfragt. Es gab keine Bewusstheit darüber, dass sich das Verhalten der Schwangeren auf das Kind auswirkt.

„Es herrschte die alte Frauenrolle: Mann versorgen, Kinder versorgen.“

Eine Hebamme und Mutter berichtete über die damalige medizinische Versorgung:
Keine Betreuung durch Hebamme, aller 3 Monate Besuch beim Arzt. Keine Geburtsvorbereitungskurse. Kein Ultraschall, kein CTG. Geburtshilfliche Interventionen wurden gerade erst erfunden. Vorher nur Zangengeburt, Kaiserschnitt war sehr selten. Es gab von Valium, Psychopharmaka bis Lachgas alles Mögliche, damit die Schmerzen nicht so intensiv wahrgenommen werden.

„Das war die Zeit, in der ausprobiert wurde“
„Die Frauen sollten stillhalten, damit die Ärzte arbeiten konnten“
„Ich sollte auf jeden Fall ins Krankenhaus“
„Mein Mann war nicht dabei, er musste in die Backstube“
„Das ging so schnell …“

Wandel in der Geburtshilfe beginnt Ende der 60er Jahre: „ Zu diesem Zeitpunkt begann das Stillbewusstsein zu wachsen und Rooming-in wurde immer mehr angeboten. Saugglockengeburten und Geburten im Liegen, das war dann normal. Die Schwangerschaft wurde versteckt!“

Erziehung damals:
Großmütter haben es an die Mütter weitergegeben: Das Kind durfte nicht verwöhnt werden:
„Du musst den schreien lassen“ / „Das Kind muss sich nach unseren Regeln richten“ /
„Christliche Moral: Es war etwas im Kind, das bekämpft werden musste.“  „Schmusen mit der Mutter gab es nicht.“

Beziehung zur Mutter war eher praktikabel: „Ich habe mich manchmal als Rabenmutter gefühlt, weil ich war so viel im Laden“, „Ich hatte die Ruhe nicht, mit den Kindern zu spielen oder eine Geschichte zu lesen“, Man ging mit dem Kind so um, dass es in die Familie und die Gesellschaft reinpasste“, „Kinder mussten von Anfang an lernen, die Erwachsenen nicht zu stören“.

Tisch: 1970 – 1990 – und DDR-Geburts-Erfahrungen

DDR-Geburts-Erfahrungen:
Kinder 1979, 1986 und 1988 geboren. „Kindergarten- und Krippenplätze waren immer genug vorhanden. Die Schwangerenvorsorge lief im Poliklinik-System (keine niedergelassenen Ärzte, ähnlich wie staatliches Ärztehaus). Das hieß, die Hebammenvorsorge fand bei der ärztlichen Sprechstunde statt. Dort wurde gemessen und gewogen. Auch im Wochenbett gab es keine Hebamme, die mir z.B. beim Stillen geholfen hätte. Stillen war einfach normal, da gab es keine besondere Aufmerksamkeit oder Förderung. Nach 10 Wochen habe ich wieder die Pille genommen, dann war das Stillen vorbei!“

Geburt:
Die Hausgeburt war verboten, während die Klinikgeburt als Fortschritt angesehen wurde. Das war die ‚Programmierte Geburt in den 70-er Jahren‘. Die Kinder wurden nach der Geburt weggenommen, gewaschen, angekleidet, danach kurz der Mutter übergeben, dann ins Kinderzimmer gebracht. Es gab keine Hebammenbetreuung in Schwangerschaft und Wochenbett, stattdessen einige wenige Bücher: „Ich glaubte, gut Bescheid zu wissen“ …

Geburtseinleitung am ET (1979): „Der Arzt sagte, gehen Sie mal hoch in den Kreißsaal, Ihr Kind kommt heute, aber ich hatte noch keine Wehen.“ „Schreien Sie nicht so, dass ist doch schon ihr 3. Kind!“ (1988)

Vorstellungen, was Kinder brauchen:
In den ersten 3 Monaten haben Babys keine Gefühle, so dachte man. Das waren die „dummen ersten 3 Monate“: Kind sieht nichts, hört nichts, spürt nichts …
Kinder sollen nicht verwöhnt werden.
1988: „Westliteratur“ –  Stillbuch von Hannah Lothrop war dann die Initialzündung für uns.

„Bindung war kein Thema, darüber wurde nicht gesprochen. Ich habe mit meinem Kind sehr wenig geredet, war mir nicht bewusst, wie wichtig das ist (1979). Beim jüngsten Kind war ich eine ganz andere Frau…“

Wendezeit:
Elterngruppe gründete Verein und Beratungsstelle: „Natürlich gebären, bewusst Elternsein“, später 1. Geburtshaus in Halle (Saale), Monika – Hebamme aus Bonn – hat beim Aufbau im Osten geholfen!
 

Tisch: 2000 – 2015

Väter einbeziehen:
„Vaterschaftsurlaub und Elternzeit sind neu. Trotzdem fände ich es gut, Männer früher mit in die Schwangerschaft einzubinden – vielleicht auch Geburtsvorbereitung früher anbieten?“

Mütter:
„In meiner Schwangerschaft habe ich mich so sensibel, dünnhäutig, angreifbar gefühlt und hatte viele Versagensängste.“

Klinik-Routine und Abläufe stören das Bonding:
Das Kind kam in der 33. Schwangerschaftswoche zu früh zur Welt. Der Stress der Mutter war groß:
„Ich hatte große Ängste, alleine entlassen zu werden nach der Geburt und das Kind blieb in der Klinik.“

„Ich hatte kein gutes Gefühl, wurde aber nicht ernst genommen und trotz der Angst um mein Kind allein gelassen. Meine Kompetenz als Frau und Schwangere wurde mir abgesprochen!“

„Erster Kontakt auf der Intensivstation, ich hatte keinen Hautkontakt zu meinem Baby.“

Vielen Dank an die Fotografin Anne Servos, die das Bonner Erzählcafé als Spende an die Aktion umsonst dokumentiert hat. Fotos © Anne Servos, website