Birthstory:
Vom Wunsch einer Hausgeburt zum Kaiserschnitt
Birthstories - Geburtsgeschichten
Geburtsgeschichten sind so vielfältig und spannend, wie das Leben selbst. Als Erfahrungspool für Eltern, zum Nachlesen für Forschende und als innovative Fortbildung von Fachpersonen sammeln wir Eure "Birthstories". Dazu gehört auch, was an den vielen Cafétischen quer durch Europa erzählt wurde .
Zum Nachlesen und Weiterdenken
Vom Wunsch einer Hausgeburt zum Kaiserschnitt
"Ich habe Erinnerungsstücke an die Geburt unserer Tochter Henriette in eine Schublade gelegt. Auch ein Jahr danach ist es immer noch nicht leicht, diese Schublade zu öffnen. Wenn ich das Armband aus dem Krankenhaus in den Händen halte, dann zieht sich mir mein Magen zusammen und ich spüre, dass Angst, Trauer, Enttäuschung und Panik noch da sind, irgendwo ganz tief vergraben in mir. Aber der Schmerz lässt nach und wird dumpfer, sowohl in meinem Herzen als auch an meinem Körper.
Und langsam begreife ich: Es ist meine Geschichte, schrecklich und wunderbar zugleich,- und es ist Zeit, das Kapitel „Geburt“ abzuschließen."
Wenn Plan A, B und C nicht mehr ausreichen
Ein Wort vorab:
Ich habe Erinnerungsstücke an die Geburt unserer Tochter Henriette in eine Schublade gelegt. Fast ein Jahr danach ist es immer noch nicht leicht, diese Schublade zu öffnen. Wenn ich das Armband aus dem Krankenhaus in den Händen halte, dann zieht sich mir mein Magen zusammen und ich spüre, dass Angst, Trauer, Enttäuschung und Panik noch da sind, irgendwo ganz tief vergraben in mir. Aber
der Schmerz lässt nach und wird dumpfer, sowohl in meinem Herzen als auch an meinem Körper. Und langsam begreife ich: Es ist meine Geschichte, schrecklich und wunderbar zugleich,- und es ist Zeit, das Kapitel „Geburt“ abzuschließen.
Meine Schwangerschaft:
Meine Schwangerschaft war ein auf und ab. Wir haben uns riesig über unser Kind gefreut. Doch es folgten drei schwere Monate mit heftiger Übelkeit und einem übermäßigen Erbrechen. Alle drei bis vier Tage musste ich mich 20-30x übergeben. Nein, ich übertreibe nicht! Beim ersten Brech-Anfall landeten wir aus lauter Verzweiflung im Krankenhaus, weil mein Körper völlig ausgelaugt war. Meine
plötzlich aufkommende Hyperemesis gravidarum wurde dort als Magen-Darm-Infekt abgestempelt und ich wurde an den Tropf gehängt. Aber ich wusste: Das war kein Magen-Darm-Infekt, ich war einfach nur schwanger. Ich habe abgenommen, hatte keinen Appetit mehr und fühlte mich elend. Vomex half nicht gut, Akupunktur verhinderte meine Zusammenbrüche auch nicht. Meine Frauenärztin empfahl mir daraufhin das Mittel Agyrax, das in Deutschland nicht zugelassen ist. Mein Freund fuhr am nächsten Morgen nach Luxemburg, um ein Päckchen dieser Tabletten zu besorgen. Es half bedingt, aber ich musste nicht mehr ins Krankenhaus. Nach 13 furchtbaren Wochen ließ die Übelkeit nach und verwandelte sich in eine moderate Übelkeit und ein Erbrechen am Morgen, was eine unglaubliche Erleichterung war. Zumindest konnte ich so arbeiten gehen. Auch diese Übelkeit lies schließlich nach und ich konnte endlich meine Schwangerschaft mit Freude und Stolz erleben.
Und dann kam der Mutterschutz:
Zu akzeptieren, dass der Körper einfach nicht mehr so wollte, wie er früher konnte, war für mich schwer. Hinsetzen und Ausruhen,- dazu hatte ich einfach keine Lust. Stattdessen machte ich weiter bis zum Schluss. Wir haben noch das zukünftige Kinderzimmer renoviert. Aus einem wöchentlichen Joggen wurde ein wöchentliches Walken, bis ich es nur noch Schritt für Schritt um den Block schaffte,
weil ich Schmerzen hatte und das Kind auf die Blase drückte. Bis zum errechneten Termin, den 6. Februar 2021, zog sich die Zeit endlos. Die sechs Tage nach dem ET waren noch quälender. Ich hatte zwar Übungswehen, immer wieder und schon seit einigen Wochen, aber in keiner Sekunde hatte ich das Gefühl, dass mein Mädchen kommen wollte. Der Schleimpfropf ging ab, ich hatte Zeichenblutung. Aber dennoch hatte ich in keinem Moment das Gefühl, dass es bald losgehen würde, soviel ich auch mit meinem Kind in meinem Bauch sprach. Die Kraniche zogen in den Norden. „Der Frühling kommt“, versprach ich meiner Tochter. „Die Sonne scheint und die Blumen fangen an zu blühen. Ich werde sie dir zeigen.“
Die Geburt:
Ich wollte unbedingt eine Hausgeburt. Alles war vorbereitet. Das Krankenhaus machte mir Angst. Man geht nur in ein Krankenhaus, wenn man wirklich, wirklich krank ist. Also so krank, dass nichts mehr geht. Am sechsten Tag nach meinem errechneten Termin, am 11. Februar 2021, setzte die Geburt mit einem vorzeitigen Blasensprung ein. Ich wollte gegen 17 Uhr meinen Nachmittagsspaziergang machen und da überkam mich eine Wehe, die tatsächlich etwas heftiger war als nur ein Festwerden des Bauches. Und mit dieser Wehe machte es „blöbb“ und ich stand im Wasser. Es heißt ja immer, man solle Ruhe bewahren, aber das ist schwer! Mein Puls fing an zu rasen, ich wurde ganz aufgeregt. Wir haben Lisa angerufen. Ich habe meine Mutter informiert. Eine Stunde später kam Lisa und untersuchte mich. Das CTG war in Ordnung, mein Muttermund etwa ein Zentimeter offen. Doch wirkliche Wehen hatte ich nach wie vor keine. Der Gedanke, dass mein Kind in wenigen Stunden auf die Welt kommen würde, machte mich plötzlich nervös. Bis hierhin hatte ich keine Angst vor der Geburt verspürt, doch auf einmal blitzte da etwas in mir auf. War mein Kopf ins Denken geraten? Oder war es ein Bauchgefühl, ein tiefes Wissen in mir, dass etwas nicht in Ordnung war? Ich ging schlafen. „Wann sollen wir dich anrufen?“ fragten wir Lisa. „Na dann, wenn die Wehen da sind.“ Mit diesen Worten schliefen wir bis 4 Uhr nachts. Dann klingelte Lisa am Telefon und fragte, warum ich nicht anriefe. Ich war etwas verwundert. „Warum? Ich habe keine Wehen, du hast mich aus dem Tiefschlaf gerissen.“
Lisa kam eine halbe Stunde später vorbei und untersuchte mich. Mein Muttermund war immer noch nicht weiter geöffnet, das CTG aber in Ordnung. Wir legten uns einen Schlachtplan zurecht. Wenn bis 7 Uhr morgens keine Wehen kämen, sollte ich den Einleitungstrunk mit Rizinusöl zu mir nehmen. Um 6.30 Uhr waren wie erwartet keine Wehen gekommen. Jan machte sich parat und stand um 6.55 Uhr vor dem Edeka, um die Zutaten für den Wehentrunk zu kaufen: Ei, Wodka, Aprikosenkonzentrat, Sahne und Rizinusöl. Ich zitterte, als ich das erste Glas trank. Ich legte mich eine Stunde ins Bett und ruhte. Nichts. Ich trank das zweite Glas. Ich legte mich eine Stunde in die Badewanne und ruhte. Nichts. Ich trank also noch das dritte Glas und lief eine Stunde im Wohnzimmer auf und ab. Gegen 12 Uhr tat sich was, mein Darm fing an zu arbeiten und dann kamen die Wehen allmählich. Lisa kam gegen 13 Uhr und untersuchte mich. Aber mein Muttermund war gerade einmal 2-3 Zentimeter geöffnet. Das Kind lag komisch seitlich, stieß wahrscheinlich gegen mein Becken. Und dann wurde das CTG mit jeder Wehe auffällig. Lisa blieb stumm, sie beobachtete nur, bis sie schließlich gegen 14.30 Uhr sagte, dass wir die Hausgeburt abbrechen müssten. Ich wusste in dem Moment nicht Recht, wie mir geschah. Ich brach in Tränen aus, zwischen Wehen und Pausen stand ich im Flur, wollte einfach nur ganz in Ruhe zu Hause bleiben, bei mir im Wohnzimmer auf dem Boden liegen, mich am Sofa
abstützen, meine Umgebung haben, die ich kenne. Ich war ein Häufchen Elend. Und dann kam wieder diese Angst in mir hoch, die mich Schluchzen ließ: „Ich will keinen Kaiserschnitt.“ Warum dachte ich hier direkt an einen Kaiserschnitt? Für mich war in dem Moment klar, dass wir ins Krankenhaus gehen, weil etwas nicht in Ordnung war, weil es nicht natürlich klappen wollte oder konnte. Lisa nahm mich in den Arm und sagte nur: „Jetzt warten wir erstmal ab.“ Und sie gab mir ihr Versprechen,
ei mir zu bleiben, für mich bis zum Schluss zu kämpfen, dass mir meine Geburt nicht durch die Krankenhausroutine und damit durch einen vorzeitigen Kaiserschnitt weggenommen werden würde.
Gegen 15 Uhr kamen wir im Krankenhaus St. Johannes in Troisdorf Sieglar an. Wegen der derzeitigen Corona-Situation durfte Jan nicht mit hinein, aber Lisa blieb bei mir. Sie führte mich in den Kreißsaal. Der Raum hatte warme Farben, Pastelltöne. Senfgelb, Korallenrot und ein bordeauxrotes Tuch hing von der Decke herab. Ich habe mich erstaunlich wohl gefühlt. Die Angst vor einem kalten, trostlosen und nach Desinfektionsmittel riechendem Krankenhaus wurde mir im ersten Augenblick genommen. Ich atmete meine Wehen weg. Sie waren stark, aber auszuhalten. Eine sehr nette Ärztin machte gemeinsam mit Lisa einen detaillierten Ultraschall, um mögliche Gründe für das Ausbleiben der Wehen herauszufinden. Das Kind lag seitlich, irgendwie nicht so, wie es liegen sollte. Ich habe es nicht verstanden, sondern tat einfach das, was Lisa mir sagte. Ich musste mich auf die rechte Seite legen und mein Bein gewinkelt ablegen, wie in der stabilen Seitenlage. Man hängte mich an den Tropf und ich bekam Antibiotika. Eine Wehe nach der anderen kam, ich atmete sie weg. Lisa saß am Fußende meines Bettes und war einfach nur da. Sie untersuchte mich, doch mein Muttermund war nicht weiter als 2-3 cm, aber das Köpfchen lag wohl jetzt richtig. Die Wehen wurden, zumindest subjektiv empfunden, immer heftiger. Ich hatte Hunger, aß das Krankenhaus-Mittagessen, -Spinat, Kartoffelbrei und noch etwas…-ekelhaft, aber egal. Ich erbrach eh wieder alles. Jan hielt mich, Lisa machte alles sauber und reichte mir Wasser. Sie wartete, ich lag in den Wehen. Irgendwann kam die Ärztin rein und sagte mir, man wolle mir eine PDA legen und wehenförderndes Oxytocin geben, weil mein Muttermund immer noch nicht bedeutend weiter aufgegangen war. Ich wurde ich nervös. Lisa redete mir zu, ich sollte es machen. Ich hatte panische Angst. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Lisa und Jan redeten mir zu und ich fasste all meinen Mut zusammen und entschied mich dafür. Ich willigte hier bewusst ein, auch wenn mir praktisch keine Wahl offen stand. Ich hatte Angst, richtig Angst vor dieser Nadel, vor dem Gedanken, dass die mir bis ins Rückenmark stechen. Ich hatte mehr Angst davor, als vor richtigen Wehen! Ich krallte mich an Jan fest. Dann piekste es nur, es tat nichts weh. Ich war so positiv erstaunt und musste lächeln. Als ich dann da lag, auf dem Bett, da hatte ich erstmals das Gefühl, dass es vielleicht doch noch gut werden würde. Das sagte ich Lisa. Sie sagte nichts. Ich hatte keine Schmerzen, spürte den Druck der Wehen, die gingen und kamen
und gingen und ich döste vor mich hin. Ich atmete zu meinem Kind, ganz tief, tief, immer wieder. Ich lag, stand, stützte mich ab. Im Stehen waren die Wehen heftiger, der Druck stärker. Mein Muttermund war etwa 7-8 cm offen, ich fasste Mut. Lisa sagte: „Atme zu deinem Kind.“ Ich glaube, schon in diesen Minuten hatte Lisa schon gewusst, dass das CTG nicht mehr in Ordnung war, die Herztöne mit jeder Wehe auffällig. Ich nahm es nicht war, ich war im Rausch, im Tunnel, unter der Geburt. Bleib in Verbindung mit deinem Kind! Lisa bereite den Gebärhocker vor, Jan setzte sich dahinter, dass ich in seinen Armen halb sitzend, halb liegend saß. Die PDA ließ nach und plötzlich, mit einer solchen Wucht, kamen die Wehen mit einem solch heftigen Schmerz zurück. Es war so plötzlich, dass sich mein Körper nicht darauf einstellen konnte. Habe ich schon gepresst? Ich weiß es nicht, ich glaube nicht, der Schmerz kam mit einer so bitterlichen Stärke, dass ich es kaum aushielt und er mir mein Bewusstsein nahm. Ich tönte, tönte, tönte. Ich wünschte mir eine neue PDA. Warum bekam ich keine mehr? Die Wehen waren so schmerzhaft, dass mir schwarz vor Augen wurde. Ich dachte nur noch: Wann ist es endlich soweit?? Noch eine Wehe, die mich fast in die Ohnmacht stieß. Mein Kreislauf sackte zusammen, ich trank Wasser, ich war völlig kraftlos, mein Wille aber noch da. Ich schaffe das, irgendwie. Ich will es schaffen! Atme zu deinem Kind. Wie denn? Bleib in Verbindung mit deinem
Kind. Atme ganz tief. Lisa klang besorgt. Eindringlich. Ein Befehl, sehr strikt. Ich versuchte doch alles! Da realisierte ich erst, dass etwas nicht stimmte. Plötzlich waren da mehrere Personen, Ärzte,
Schwestern, Hebammen, keine Ahnung. Ich war im Tunnel der Geburt. Lasst mich alle in Ruhe! Ich sollte auf das Bett, Lisa wollte mich nochmal untersuchen. Mein Muttermund war nahezu offen. Man baute einen Stuhl auf, hiefte mich darauf, Spekulum, Messer, Blut. Sie wollten die Sauerstoffsättigung meines Kindes messen. Lisa versuchte noch, meine Blase zu entleeren, da war aber nichts mehr. Atme zu deinem Kind! Befehl, besorgt. Ich weiß nicht mehr, wo die Verbindung zu meinem Kind war. Da war keine mehr. Es dauerte nur eine Minute. Ergebnis: 7,23. Das Kind muss ganz bald geboren sein, was nach dieser Vorgeschichte völlig utopisch war und auch Lisa nicht mehr daran glaubte. Kaiserschnitt. Hier endet für mich die Geburt. Nein! Ich will nicht! Nein! Ich weinte, zitterte, Angst, völlig hilflos, ausgeliefert, gescheitert. Nicht mehr bei Sinnen, Angst vor einer riesigen Gefahr, vor einem riesigen Ungeheuer, Angst um mein Leben. Dann ging alles ganz schnell. Es war hektisch im Saal. Kontrollverlust und eine solche panischeAngst, wie ich sie in meinem Leben noch nie erlebt habe, überkamen mich. Diese Angst war so tiefgreifend, so gewaltig, so erschreckend, so einnehmend, stechend, allumfassend. Ich hatte Angst vorder OP, ich hatte Angst, weil ich nicht erfassen konnte, was geschah, ich hatte Angst, weil die Situation völlig unvorbereitet kam. Panische Angst lässt deine Seele aus dem Körper gehen, damit die Seele in diesem Moment überleben kann. Das war meine einzige Chance, der Situation zu entkommen. Aus meinem Körper heraus gehen. Ich trat aus mir heraus und gab mich auf. Mein Körper war eine leere Hülle, den man nackt auszog, einen OP Mantel anzog, einen Wehenhemmer verpasste. Bleibt bei mir! Passt auf mich auf! Lisa, versprich es mir! Sie versprach es und hielt ihr versprechen. Dann verschwimmen meine Erinnerungen, Fetzen von Eindrücken zucken in meinen Träumen auf, werden
mich lange nicht loslassen. Da war die Krankenhausdecke, bekleidet mit hässlichem Neonlicht, weiß, grün, grell, kalt. Das war das Krankenhaus, wie ich es mir vorstellte. Wie ein Tier wurde ich auf die Schlachtbank gelegt, dann gesetzt, sollte still halten. Man stach mir eine weitere Nadel in den Rücken, zog mir eine Haube auf. Ich schämte mich. Lisa stand vor mir, blieb bei mir. Jan kam später. Zumindest erzählte er mir das hinterher. Ich war eine Puppe ohne Leben, ich habe mich ganz aufgegeben, ausgeliefert unterm Messer. Ich hatte keine Wahl mehr. Es kribbelte, die Ärztin wetzte das Messer, ich war taub, bis zur Lunge. Mein Kind war ausgeliefert und ich konnte es nicht schützen.
Am 12.02.2021 um 23.04 Uhr haben sie meine Tochter aus mir herausgeschnitten.
Ich hörte das Schreien. Mein Kind! Henriette! Ich brach in Tränen aus. Oh wie schön, eine kleine Henriette, soll man angeblich durch den OP Saal geraunt haben. Sie war 47cm lang und wog 2980g. Dann wurde mir übel, ich übergab mich, bekam keine Luft, verschluckte mich, meine Lunge war gefühllos, ich konnte nicht würgen, weil mein Körper taub war. Wieder Hektik, ich bekam weitere Mittel, eine Tablette, eine Sauerstoffmaske. Ich habe eine Tochter. Lisa legte mir meine Maus in den Arm. Sprich mit ihr. Sie kennt deine Stimme. Zwei dunkle, blaue Augen starrten mich verschreckt an. Doch mir blieb die Sprache weg. Erkennt sie mich? Sie hat deine Augen, sagte Lisa. Diese wunderschönen Augen schauten mich an, Jan und ich weinten, während
mein Körper zugenäht wurde und ich hilflos mein Kind im Arm hielt.
Wie kann es sein, dass ein Moment so schön und so schrecklich zugleich sein kann? Wie kann es sein, dass schwarz und weiß keine Gegensätze mehr sind? Wenn ich diesen Augenblick der Geburt be-
schreiben soll, dann kann ich nur sagen: Hier verbanden sich Tag und Nacht. Wie ein Schlachtschwein wurde mein Körper dann auf ein anderes Bett getragen und man schob mich wieder in unser Zimmer. Lisa wischte das restliche Blut von meinem Körper, mit Lavendel. Lavendel, ich liebe Lavendel! Sie wischte mir das Gesicht, sie schenkte mir Trost. Ich wollte nur noch in den Arm genommen werden. Oder aus der Welt verschwinden. Lisa legte mir das Kind an die Brust. Ich war maßlos überfordert.
Dann fragte Lisa: „Möchtest du deine Plazenta sehen?“ Ja klar, warum nicht? Und dann zeigte sie mir dieses rote Ding und erklärte mir, dass die Nabelschnur nicht so gewachsen war, wie es im Normalfall
gewesen wäre. Die Arterien und Venen verlaufen über der Eihaut, völlig ungeschützt. Es könnte sein, dass das auch zu diesem Geburtsverlauf beigetragen hat. Eine Insertio Velamentosa. Dass eine solche
abelschnuranomalie kein Grund für einen Kaiserschnitt sei, versicherten mir hinterher alle, was die Sache für mich nicht besser machte. Dass das oft ein Spontanbefund sei, sagten auch alle. Aber dass so etwas lebensbedrohlich für Mutter und Kind sein kann, sagte niemand. Die Bedeutung dieser Nabelschnuranomalie für Henriette und mich erfasste ich erst zwei Monate später. Am nächsten Morgen ging die Sonne auf. Meine Tochter lag neben mir, eingepuckt in ein Handtuch und schlief. Ich fühlte mich fremd. Ich wollte aus meinem Körper heraus, wollte wieder in meine Welt. Doch es war kein Alptraum gewesen, es war Realität. Ein realer Alptraum, der mich auch nach einem Jahr noch nicht losgelassen hat. Die Frage: WARUM? geistert mir bis heute durch den Kopf und versetzt mir einen Stich, wenn ich mir eingestehen muss, dass es einfach Pech war.
Die Zeit danach:
Das frühe Wochenbett, das späte Wochenbett und die Zeit nach dem Wochenbett
Wenn Plan A und B und C nicht mehr ausreichen… Ich wollte zu Hause gebären, ich musste ins Krankenhaus. Ich hatte meine Kliniktasche für einen Tag gepackt, ich blieb vier Tage. Karneval. Das fiel wegen Geburt und wegen Corona aus. Ich fühlte mich schrecklich, hilflos und zerbrechlich anstatt vor glücklich und erleichtert zu sein. Ich konnte mich nicht um mein Kind kümmern. Ich konnte Henriette
nicht stillen. Ich konnte nicht liegen. Ich konnte nicht, ich konnte nichts mehr. Der Krankenhausaufenthalt war einfach furchtbar.
Herzlichen Glückwunsch! Genießt die Zeit zu dritt! Ein schönes Kennenlernen wünsche ich euch! Eine schöne Kuschelzeit!
Das sind Floskeln, die mich zum Weinen brachten. Meinen die Leute das ernst? Genießen andere Mamas die Zeit wirklich? Kann man die Zeit genießen? Die Frage stelle ich mir heute immer noch. Erst dachte ich, ich wäre zu schwach und der Herausforderung „Kind“ nicht gewachsen, könnte mit dem Schlafmangel, den Stillproblemen, den Schmerzen der Kaiserschnittwunde nicht umgehen. Ich weinte viel, fast jeden Tag. Nachts schlief ich vor Erschöpfung ein und war tagsüber völlig fertig. Auch das stempelte ich als normal ab. Schließlich bin ich jetzt Mutter und Muttersein ist nicht einfach. Nach sechs Wochen hatte ich meine Abschlussuntersuchung. Ich sagte, dass ich oft weinte. Lisa sagte: „Du musst versuchen, mit deiner Narbe zu leben. Du musst dich genauso pflegen, wie dein Kind und deine Blumen im Garten.“ Das ist immer so einfach gesagt. Wie soll ich mich glücklich fühlen, wenn ich nicht rennen kann, mein Körper hässlich, schwach und nicht mehr belastbar ist? Wie kann ich mich in meinem Körper je wieder wohlfühlen? Ich verachte meinen Körper, er konnte nicht einmal ein Kind gebären. Ich fragte nochmal nach der Nabelschnuranomalie. Kommt das oft vor? Nein, natürlich nicht, ich bin mal wieder eine Ausnahme.
Nach dem Hebammenbesuch begann ich, mich über Gründe für einen Kaiserschnitt und die Insertio velamentosa zu informieren und damit fiel ich wieder in ein tiefes schwarzes Loch. Ich weinte, hatte Flashbacks, begann zu hyperventilieren, konnte tagsüber und oft nachts kein Auge mehr zu tun. Ich war eine Gehetzte, gefangen in meinem schrecklichen Körper, gefangen in einem Rad der Gedanken und Erinnerungen, das nie zur Ruhe kam, mich antrieb, immer weiter, immer fort, bis ich zusammenbrach. Ich suchte nach einem Weg heraus aus diesem schrecklichen Dasein, doch ich fand ihn nicht. Ich konnte nicht mehr essen, hatte keinen Appetit, nahm noch mehr ab, hatte extreme Stimmungsschwankungen, vieles wurde mir gleichgültig. Ich selbst wurde mir gleichgültig, weil ich mich für diese schreckliche Laune und Traurigkeit und Niedergeschlagenheit hasste, weil ich versuchte, die Wochenbettzeit zu genießen und es funktionierte nicht. Ich fühlte mich in meinem Körper nicht mehr wohl. Meine Narbe schaute ich nicht an. Ich konnte nicht mehr in den Spiegel blicken oder gar stolz auf mich sein.
Der nächste große Trigger war dann nach zwei Monaten das Nachtreffen unseres Geburtsvorbereitungskurses. Durch Corona fand alles per zoom statt. Alle Frauen sollten von der Geburt berichten, zeigten stolz ihre Babys. Mein Kind schlief im Tragetuch, ich zeigte es nicht. Ich empfand keinen Stolz. Andere Mütter erzählten zuerst: Vorzeitiger Blasensprung, danach kamen die Wehen und alles hat super geklappt; Hausgeburt, starke Schmerzen, aber nach acht Stunden war das Kind da. Und ich fand keine Worte, um den Verlauf der Geburt zu beschreiben. Mir schossen die Tränen in die Augen. Als ich den Computer zuklappte, weinte ich. Ich weinte und weinte. Ich weinte vor Enttäuschung, es war alles ungerecht. Ich weinte, weil ich so traurig war. Ich weinte, weil ich die Zeit mit meinem Kind nicht genießen konnte und ich fühlte mich hilflos und überfordert, mich um mein Kind zu kümmern. Ich weinte, weil das Erlebte mir meine Seele so sehr verletzt hat. Ich brauchte jemanden, der sich erstmal um mich kümmerte! Mit Jan redete ich mehrmals über den Verlauf der Geburt. Die Bilder zuckten wieder auf, ich fühlte den Schmerz am Körper, ich begann zu zittern, zu hyperventilieren, weinte und bekam die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Der Schmerz, die Panik, die Angst, das Scheitern, die Enttäuschung, die Verzweiflung waren so real, dass mein Körper sie spürte. Es ist doch vorbei! Doch mein Körper und meine Seele wussten es noch nicht.
Ich begann, den Verlauf der Geburt in Frage zu stellen. Warum? Ich suchte Gründe. Ich begann zu verstehen, dass ein solcher Geburtsverlauf zwar viele Frauen betrifft, aber doch nicht ganz normal
war. Ich begann zu lesen. Schwere Geburt. Traumatische Geburtserfahrungen. Folgen eines Traumas. Warum sagte mir denn keiner, dass ich eine schwere Geburt hinter mir hatte? Erst hier verstand ich: Das, was ich erlebt habe, hat nicht nur meinen Körper verletzt, sondern auch meine Seele. Diese Geburt war für mich ein traumatisches Erlebnis. Ich habe die panische Angst in der Situation als ein traumatisches Erlebnis empfunden und das hat etwas mit mir gemacht. Die traurige Person bin nicht ich und ich bin nicht schuld, dass ich traurig bin. Auch mein Kind ist nicht schuld daran. Es waren viele Faktoren, die zusammengespielt haben und dazu geführt haben, dass mich die Geburt so sehr mitgenommen hat. Und es hätte alles viel schlimmer kommen können. Ich bin dankbar, dass Lisa ihr Versprechen gehalten hat und bei mir geblieben ist, dass Jan, meine Mutter und meine Schwester jeden Tag für mich da waren, dass meine Oma jeden Tag für mich gekocht hat und mein Opa jeden Tag mit Henriette spazieren ging, damit ich Zeit für mich hatte. Ich bin dankbar, dass man mir die Geburt nicht weggenommen hat. Ich habe bis zum Schluss gekämpft. Zu wissen, dass ich nicht depressiv bin, dass es nicht normal ist, das Leben mit Kind so schrecklich zu finden, dass es nicht normal ist, das alte Leben und die alte Lebensfreude, das Feuer, den Tatendrang, die Energie so sehr zu vermissen, das wurde mir langsam bewusst. Und dann sagte ich mir: „Es gibt zwei Möglichkeiten:
Entweder du gibst auf oder du kämpfst dich in dein Leben zurück.“ Und ich tat Letzteres, denn meine Tochter braucht mich. Sie braucht eine starke und eine glückliche Mutter. Und ich sage euch, es ist
harte Arbeit. Sehr harte Arbeit. Aber diese Arbeit lohnt sich! Bequem wäre es gewesen, das Erlebte einfach zu verdrängen. Irgendwie greift der Schutzmechanismus des Körpers. Man lenkt sich ab durch Arbeit, man überspielt die Traurigkeit mit Ironie, man versucht, einfach weiter zu machen… Klar, das geht irgendwie, auch mit einem Lächeln auf den Lippen.
Aber ist man dann glücklich? Nein, nicht wirklich. Irgendwann holen einen die Erinnerungen ein, denn sie sitzen ganz tief. Es reicht eine Kleinigkeit, ein Geruch, eine falsche Bemerkung und siehe da, da sind sie, diese Erinnerungen, das Gedankenkarussell, der Sog, die schwarze Wolke, die sich nicht fangen lässt, weil ihr das Greifbare fehlt. Dann umhüllt sie dich, drückt dich und dein Gemüt nieder,
hat Macht über dich und du bist verloren. Nein, das war nicht mein Weg! „Versuche die Wolke zu greifen, -gib ihr ein Gesicht, eine Gestalt, einen Namen!“ Ich stellte mich also meiner Erinnerung und konfrontierte mich mit dem Erlebten. Ich versuchte auszusprechen und auszudrücken, was mir passiert war, was ich gedacht habe, was ich denke, was ich fühle und was ich gefühlt habe. Ich fertigte ein Fotoalbum an, schrieb ein Buch nach dem anderen voll, las den Geburtsbericht des Krankenhauses, weinte und weinte, aber danach wurde es immer ein Stück besser. Der Alptraum nahm Gestalt an, die Erinnerungen rückte ich an die richtige Stelle und setzte sie in eine richtige Reihenfolge. Ich begann, die dunkle Wolke für mich greifbar zu machen und ich konnte sie greifen! Neben meinem Kind suchte ich wieder Aufgaben, die mich in mein altes Leben führten, nahm meine ehrenamtlichen Tätigkeiten im Verein wieder auf, ging mit Henriette singen, renovierte die Küche meiner Mutter, pflanzte mit Jan 400 Bäume für unsere kleine Waldprinzessin und ging zur Physiotherapie, um meine Rectus Diastase und meinen Nabelbruch in den Griff zu bekommen. Ich tat etwas für meinen Körper, denn das heilte meine Seele. Schreit die Seele, schreit der Körper. Oder eben umge-
kehrt. Ich traf viele Menschen, mit denen ich mich austauschte. Ich ging sehr viel spazieren, jeden Tag, viele Stunden, und redete mit anderen Müttern, die ich im Geburtsvorbereitungskurs und in Erzählcafés kennen gelernt hatte. Ich redete mit Müttern, die ihr Kind zu Hause gebären durften. Ich redete aber auch mit Müttern, die ebenfalls schlimme, wenn auch andere Geburtserfahrungen gemacht hatten. Das Austauschen war eine der wichtigsten Schritte aus der Sackgasse heraus. Es tat oft weh zu hören, dass die Geburt bei anderen Frauen „total easy“ verlief (ob es nun stimmte oder nicht). Umso heilsamer war es aber zu erfahren, dass man mit seiner schweren Geburt nicht allein war. Ich sprach, wir sprachen und fanden Worte für das, was wir erlebt hatten. Wir gaben den Erinnerungen und damit dieser dunklen Wolke ein Gesicht und machten sie zum Teil unseres Lebens.
Sprecht über alles, was euch bedrückt! Gebt euren Gedanken, ob gut oder schwer, einen Namen undes befreit und heilt eure Seele!
Ich habe mich entschieden, etwas gegen meine Traurigkeit zu tun, denn ich wollte wieder glücklich und stark sein. Ich würde es immer wieder so machen. Ich habe oft gedacht: Meine Tochter braucht eine starke Mutter! Und ich habe bewusst diesen unbequemen Weg gewählt. Es war mühevoll, es hat mich viel Kraft gekostet, aber es hat sich gelohnt! Nach knapp einem Jahr kann ich wieder in den
Spiegel schauen und sagen: Ich bin stolz, dass ich es geschafft habe!