Birthstory:
Birthstory of Hope "Das dauert noch ewig"
Birthstories - Geburtsgeschichten
Geburtsgeschichten sind so vielfältig und spannend, wie das Leben selbst. Als Erfahrungspool für Eltern, zum Nachlesen für Forschende und als innovative Fortbildung von Fachpersonen sammeln wir Eure "Birthstories". Dazu gehört auch, was an den vielen Cafétischen quer durch Europa erzählt wurde .
Zum Nachlesen und Weiterdenken
Birthstory of Hope "Das dauert noch ewig"
Diese erste Geschichte hört sich an, als sei sie etwa 200 Jahre alt, dabei passierte sie im Jahr 1962, also vor nicht einmal 60 Jahren....
Wir waren gerade vier Monate verheiratet und ich war dabei, mich an das Zusammenleben, die neuen Bekannten, die neue Wohnung, den neuen Ort und die neue Umgebung zu gewöhnen, da stellte sich heraus, dass ich schwanger war. Ich war so glücklich darüber, dass ich es zuerst gar nicht glauben konnte, war es doch das, was ich mir von Kindheit an sehnlichst gewünscht hatte: Kinder, am besten fünf oder sechs, eine große heile Familie - was natürlich damit zusammenhing, dass ich aus einer sehr kleinen Rumpf-Familie kam : Mutter, Bruder und ich - Vater im Krieg verschollen.
Mein Mann war Bundeswehroffizier und wenige Monate vor unserer Heirat nach Pf. versetzt worden, einem kleinen Städtchen nördlich des Bodensees. Natürlich gab es dort keinen Frauenarzt, aber mir genügte durchaus die Diagnose des praktischen Arztes, der für den halben Ort zuständig war. Er bestätigte also die Schwangerschaft, gab mir ein paar Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg , sagte noch: "Kommen Sie dann so in drei Monaten noch einmal vorbei" - und das war´s.
Heute frage ich mich natürlich, was ich mir dabei gedacht habe, keinerlei Vorbereitungen für die Geburt zu treffen. Natürlich hatte ich nicht die geringste Ahnung von vernünftiger Vorsorge, von Schwangerschaftsgymnastik oder irgendwelchen anderen Möglichkeiten, mich auf das einzustellen, was mich erwartete. Und obwohl ich sonst eine begeisterte Leserin bin, kam ich überhaupt nicht auf die Idee, wenigstens ein Buch anzuschaffen, das mir da ein bisschen auf die Sprünge hätte helfen können. Dazu kam, dass meine Mutter weit weg war, Telefon hatte niemand von uns, und außerdem hatten wir beide keine sehr vertraute Beziehung, und vermutlich hätte ich ihren Rat auch gar nicht angenommen. Ganz erschwerend war, dass ich in unserem Bekanntenkreis, der aus mehreren jungen Ehepaaren bestand, die erste war, die schwanger wurde. Also Erfahrungsberichte von anderen Frauen gab es auch nicht.
Aber "mit die Juten is Jott" wie meine Oma zu sagen pflegte - alles lief bestens. Zwar war mir in den ersten drei Monaten morgens ziemlich übel, aber ansonsten ging es mir blendend. Da ich immer sehr schlank gewesen war, sah man mir die Schwangerschaft monatelang nicht an und aus purem Aberglauben sagten wir auch lange niemandem etwas davon, weder der Familie (was einfach war, die war weit weg) noch unseren Bekannten nah und fern. Erst spät im 6.Monat verkündeten wir dann doch überall die freudige Botschaft, als ich allmählich den Eindruck hatte, dass mein wachsender Bauch nicht mehr zu übersehen war. Das war nun auch der Zeitpunkt, zu dem wir anfingen, die Babyausstattung zu besorgen. Und das erwies sich mit unseren sehr beschränkten finanziellen Mitteln als gar nicht so einfach. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass so ein kleiner Mensch, den es sichtbar noch gar nicht gab, so teuer werden könnte. Das Glanzstück, das wir uns leisteten - das allerdings der werdende Großvater spendierte - war ein hochmoderner und absolut hochrädriger Kinderwagen - der sich dann später als ziemlich unpraktisch erwies. Aber zunächst waren wir beide begeistert und mein Mann blickte sinnend auf das Gefährt und meinte verträumt. "Und wenn er dann erst einmal drin liegt...". Ich war sofort alarmiert. "Wer - er??" Antwort: "Na, der Kind". Ja, so kann man sich auch rausreden.
Einmal ging ich dann noch zum Hausarzt, der meinen Bauch abhörte und alles für gut befand. Ich wollte das Kind unbedingt in Pf. zur Welt bringen, damit ich jeden Tag Besuch von meinem Mann und von Freunden bekommen konnte. Dass ich vielleicht doch besser ins 20 km entfernte Überlingen in die Klinik gegangen wäre, stellte sich erst später heraus.
Als Geburtstermin war der 28. August ausgerechnet. Am 19., einem Sonntag, machten wir noch einmal einen Ausflug an den Bodensee, fuhren mit dem Tretboot, machten eine kleine Wanderung am See entlang und sammelten auf den Streuobstwiesen Äpfel, von denen wir auch reichlich aßen. Am Abend gingen wir noch zum Essen und fuhren dann wieder gemütlich nach Hause. Gegen 22 Uhr fiel ich zufrieden und müde ins Bett und schlief auch sofort ein.
Um Mitternacht wachte ich mit Bauchschmerzen auf und mir war klar, dass ich ganz offensichtlich zu viele grüne Äpfel gegessen hatte. Nach kurzer Zeit hörten die Schmerzen aber wieder auf und ich döste ein. Doch bevor ich in Tiefschlaf versinken konnte, kam der Schmerz zurück. Als sich dieses Spiel in Abständen wiederholte, dämmerte mir doch die Erkenntnis, dass sich da wohl - ein wenig vor dem errechneten Zeitpunkt - unser Kind ankündigte. Eine Welle unterschiedlichster Gefühle schwappte über mich hinweg: Freude, Aufregung, Neugier, aber auch Unsicherheit und Sorge - würde alles gut gehen? Rücksichtsvoll ließ ich den werdenden Vater weiterschlafen, denn der musste ja am nächsten Tag zum Dienst, da wollte ich ihn nicht mitten in der Nacht wecken. Also lag ich da und verfolgte die Abstände der Wehen - die Pausen waren noch sehr lang und selbst mir war klar, dass das Ganze sicher noch einen ziemlich langen Zeitraum in Anspruch nehmen würde. Zum Glück ahnte ich nicht wie lange!
Um kurz nach 6 Uhr klingelte der Wecker und ich konnte meinem schlaftrunkenen Mann die frohe Botschaft übermitteln, dass unser Kind im Anmarsch war. Wir vereinbarten, dass er in der Mittagspause nach Hause kommen und den Stand der Dinge erforschen würde. Sollte es vorher brenzlig werden, sollte ich von unseren Nachbarn aus an seiner Dienststelle anrufen.
Ab kurz vor 7 Uhr war ich dann also allein und hatte ausreichend Zeit, die Abstände der Wehen zu beobachten, die zwar in kaum kürzeren Abständen erfolgten aber durchaus schmerzhafter wurden. Um 12 Uhr kam dann mein Mann und wir fuhren ins Krankenhaus - wie sich herausstellte, lediglich zur Erkundung. Denn die Hebamme dort untersuchte mich kurz und meinte: "Das dauert noch ewig. Kommen Sie heute Abend wieder. Aber um 20 Uhr habe ich Feierabend". Einerseits war ich erleichtert, dass wir wieder gehen durften, andererseits hatte mich dieses "ewig" doch ziemlich erschreckt. Den Nachmittag verbrachte ich also wieder allein - abwechselnd durch die Wohnung tigernd oder in Embryonalhaltung auf der Couch liegend. Um 19 Uhr lieferte mein Mann mich dann endgültig im Krankenhaus ab und fuhr wieder nach Hause. Die Anwesenheit werdender Väter war damals nicht vorgesehen.
Ich wurde also in ein Bett verfrachtet, die Hebamme schaute noch einmal, wie die Sache sich entwickelt hatte, gab wieder ihr "Ewig" -Statement ab und verabschiedete sich in den Feierabend, nicht ohne den Rat: "Wenn was ist, klingeln Sie". Es wurde die längste und die einsamste Nacht meines Lebens. Die Wehen kamen nun doch zügiger und ich hatte keine Ahnung, wie ich mich verhalten sollte. Aufstehen? Rumlaufen? Liegen bleiben? Irgendwann nach Mitternacht hatte ich das Gefühl, dass meine Blase übergelaufen war, jedenfalls lag ich plötzlich in einer Pfütze, also klingelte ich. Nach geraumer Zeit erschien die Nachtschwester, hob die Zudecke an, ließ sie wieder fallen und meinte lakonisch: "Das ist bloß das Fruchtwasser" und entschwand.
Ich redete mir die ganze Zeit gut zu, dass schon alles gut werden würde, Millionen Frauen hatten das vor mir geschafft, das war alles ganz normal, das würde ich auch schaffen. Aber es waren nun schon mehr als 24 Stunden vergangen, seit die Wehen angefangen hatten und ich merkte, wie müde ich war und wie meine Kraft nachließ. Was mich durchhalten ließ, war die gespannte Freude auf mein Kind. Was würde es sein? Mein Mann wünschte sich einen Sohn, also wünschte auch ich mir einen Jungen. Aber natürlich sollte mir auch ein Mädchen willkommen sein, gesund sollte das Kind sein, alle Glieder haben, alle Finger und Zehen, es sollte strampeln und schreien können... Solche Gedanken trugen mich durch die Nacht. Gegen Morgen tobte ein heftiges Gewitter vor meinem Fenster, die Blitze erhellten immer wieder den dunklen Raum und ich empfand das als einen Gruß an mich - alles wird gut.
Um 6 Uhr begann der Dienst der Hebamme wieder und sie erschien pünktlich. Aber helfen tat sie mir auch nicht, sie stand nur immer neben dem Bett und seufzte "jaja, so san mir alle auf d´ Welt komma" (wir waren im Schwabenland!). Zu ihrer Entschuldigung und zur Erklärung muss ich vielleicht sagen, dass sie schon recht alt und eigentlich in Rente war. Sie war nur eingesprungen, weil Ferienzeit war und die neue junge Hebamme noch im Urlaub. Und da war es natürlich schon lästig, dass ich tatsächlich gerade in dieser Zeit mein Kind kriegen musste. In diesem Krankenhaus gab es kaum mehr Entbindungen, die Frauen fuhren in aller Regel nach Überlingen, wenn es so weit war.
Irgendwann begannen die Presswehen - allerdings hatte ich keine Ahnung, was da mit mir passierte und japste: "Ich muss auf die Toilette". Und die Hebamme sagte doch tatsächlich: "Da ist der Stuhl, gehen´ S da drauf". Bei diesem Versuch merkte ich dann, dass etwas anderes in mir sich bewegte, das nichts mit einem Toilettengang zu tun hatte, also legte ich mich wieder auf das Bett. Niemand hatte mir erklärt, was ich jetzt zu tun hatte, aber mein Körper bemühte sich von ganz allein, auch wenn ich immer deutlicher das Gefühl hatte, dass ich am Ende meiner Kräfte war. Kurz vor 7 Uhr streckte mein Mann den Kopf zur Tür herein um sich zu erkundigen, wie weit die Sache gediehen war. Die Hebamme scheuchte ihn gleich wieder raus. "Gehen´S, gehen´S - des dauert noch!!" Also zog er wieder ab zum Dienst, und im selben Augenblick hörte ich die Hebamme sagen: "Wenn Sie jetzt nicht mithelfen, stirbt das Kind - der Kopf ist schon ganz blau". Zwar war ich nach den zwei durchwachten Wehennächten vollkommen erschöpft, aber dieser Anschnauzer war genau das, was ich jetzt brauchte. Bei der nächsten Wehe nahm ich alle verbliebene Kraft zusammen und presste um mein Leben, bzw. um das meines Kindes. Und da flutschte dann das kleine Wesen mit einem Satz aus mir heraus und in die Welt. "Ein Bua" sagte die Hebamme, ich saß urplötzlich senkrecht im Bett, sah das kleine krebsrote mit Blut und Schmiere bedeckte Wesen zwischen meinen Beinen und mir geschah das Wunder, von dem ich schon gehört, das ich aber nie geglaubt oder gar verstanden hatte: Mir tat nichts mehr weh, ich war stark, ich war glücklich, ich hatte bereits alle Strapazen vergessen, alles war gut. Mein Kind war da, unser Kind, unser Sohn. Inzwischen nahm die Hebamme den Kleinen bei den Beinen und er schrie aus Leibeskräften - es war pures Glück: mein Kind lebte, mein Kind schrie! Leider war es dieser Hebamme offenbar nicht möglich, mir den Kleinen einfach mal auf den Bauch zu legen, damit wir uns gegenseitig spüren konnten. Und weil ich so ahnungslos und dumm war, ließ ich zu, dass sie ihn abnabelte, wusch und maß und anzog und ihn mir dann erst in die Arme legte. Aber für mich war das alles kein Problem, ich hatte das Gefühl vor Glück zu schweben - alles war gut. In der Mittagspause kam mein Mann und durfte das saubere, gewaschene, gewickelte Kind einen Moment in den Arm nehmen.
Die Mühen und Plagen waren noch nicht ganz zu Ende, aber das berührte mich nicht - ich war zu glücklich. Bei dieser letzten heftigen Wehe hatte ich einen Dammriss erlitten, der genäht werden musste; und aus unerfindlichen Gründen nahm der junge Vertretungsarzt (Ferienzeit!) diese Sache erst nach vier Stunden in Angriff, so gegen 11 Uhr etwa. Da war alles schon geschwollen und das Schmerzempfinden wieder voll da. Es war eine Tortur, gelang auch nicht besonders gut - aber mir war alles egal, mein Kind war da!
Man legte mich dann in ein Zimmer, in dem schon eine alte kranke Frau lag, die mir schrecklich leid tat, denn sicher hätte sie viel lieber ihre Ruhe gehabt, die ihr nun kaum vergönnt war. Ich weiß nicht, ob es damals schon üblich war, Babys bei ihren Müttern im Zimmer unterzubringen, in Pf. jedenfalls war das nicht so. Zunächst sah ich mein Kind 24 Stunden lang überhaupt nicht wieder, angeblich musste das so sein, denn zuerst mal sollte die Milch einschießen. Hätte ich mich besser vorbereitet gehabt, wäre mir klar gewesen, was das für eine Unsinn war und was für eine Quälerei für das Neugeborene, so aber ließ ich alles geduldig und klaglos über mich ergehen.
Von da an wurde mir mein kleiner Thomas alle vier Stunden zum Stillen gebracht und dann wieder weggetragen. Und ich muss gestehen, dass ich nicht allzu unglücklich war über diese Regelung, denn mich hatte eine solche Erschöpfung erfasst, dass ich am liebsten immer nur geschlafen hätte. So fand ich es auch nicht gar zu schlimm, dass ich ganze neun Tage im Krankenhaus bleiben musste - das war damals wohl so üblich, besonders nach einem Dammriss.
Inzwischen war meine Mutter angereist, die mir in der ersten Zeit hilfreich zur Seite stehen wollte. Ich erzählte ihr von meinem Entbindungsmarathon und sie war entsetzt und meinte, dass ich 23 Jahre zuvor sehr viel moderner zur Welt gekommen sei. Aber als ich dann nach Hause durfte, war das ein Gefühl wie Weihnachten und Ostern und Geburtstag an einem Tag: Das großartigste Geschenk der Welt hatten wir in einer blauen Tragetasche dabei.
Es folgte eine sehr anstrengende aber auch äußerst glückliche Zeit. Nach zwei Wochen reiste meine Mutter wieder ab und ich fühlte mich reif und erwachsen: Ganz allein verantwortlich für dieses kleine Wesen, das ich zur Welt gebracht hatte. Ich fand einfach alles großartig: das Stillen, das Wickeln, das Schmusen, das Trösten, wenn der Kleine schrie. Es war eine so innige Nähe, wie ich sie nie zuvor erlebt und empfunden hatte. Klar, war es mühsam: Berge von Windeln und kleinen Jäckchen und Hemdchen, die ich im Waschkessel auf dem Herd auskochen und in der Badewanne spülen musste - ich hatte natürlich weder eine Waschmaschine noch Wegwerfwindeln. Spät am Abend musste ich stillen und in aller Frühe wieder. Wenn der Kleine nachts weinte, nahm ich ihn auf und trug ihn ein Weilchen umher - der Schlafmangel in den ersten Wochen wurde chronisch. Väter, die sich für so etwas auch einmal zuständig fühlten, gab es damals kaum und mein Mann gehörte definitiv nicht dazu. Aber ich war jung und einfach nur glücklich und genoss selbst diese Anstrengungen.