Die Erzählcafé-Aktion

zuhören | sich austauschen | voneinander lernen

Doppelte Wendung: Gesang des Lebens

Und am Ende doch noch eine Hausgeburt...

Von Anna, März 2020

Tipps für Schwangere:

Ihr lieben Frauen,
ich hatte doppeltes Glück: zu Hause sein zu können bei der Geburt meines Sohnes und bestens begleitet zu werden durch meine Hebammen. Ich hatte akzeptiert die Geburt einleiten zu lassen und dann ergab sich alles ganz anders. Es war für mich nicht einfach zu akzeptieren, dass ich nicht alles planen kann und Dinge einfach passieren (müssen) und ich loslassen muss, damit sie passieren können. Sehr geholfen hat mir der Gedanke (angestoßen durch meine Hebamme), dass viele Frauen auf der Welt unter ganz anderen Umständen Kinder gebären. Auf der Flucht, auf einem Boot, alleine oder im Gegenteil: zusammen mit Fremden oder in der Fremde. Egal unter welchen Bedingungen Geburt passiert: Euer Kind und ihr selber wisst im Inneren genau was zu tun ist. Vertraut auf euch und euren Körper und schaltet den Kopf aus. Lasst euch treiben auf den Wellen bis hin zur Insel des Glücks. Und auch wenn die Insel zunächst nicht nach Glück aussieht: es ist in Ordnung, gebt euch Zeit. Die Dinge sind gut, weil Sie passieren.


Geburtsbericht

Ungefähr einen Monat vor errechnetem Geburtstermin musste ich auf Grund einer schweren Erkältung etwa zehn Tage im Krankenhaus verbringen. Endlich wieder zu Hause befand ich mich nun also in den letzten Zügen zur Vorbereitung auf die geplante Hausgeburt. Krankenhauszeit war für dieses Jahr ja nun schon aufgebraucht, so dachte ich.

Aus dem Krankenhaus mitgebracht hatte ich eine allergische Reaktion auf die Medikamente, welche sich in einem höchst juckenden Hautausschlag äußerte. Ich hatte alles versucht: Bäder, diverse Cremes, nichts aber auch gar nichts half. Daher machte ich mich donnerstags noch einmal auf den Weg zum Frauen­arzt. Die Schwangerschaft war stabil, nun also Blutabnahme.

Am Folgetag erhielt ich einen Anruf ich solle bitte in die Praxis kommen, das konnte nichts Gutes heißen. Ich erhielt die Bitte in der Uniklinik vorstellig zu werden, noch heute, mit einer diagnosti­zierten Gestose.

Der Verzweiflung nahe (ja ich weiß, dont’t google with a Kugel und ich tat es doch…) fuhren wir also los. In der Klinik wurde ich über mögliche Folgen der Gestose unterrichtet. Es war klar, dass die Geburt künstlich eingeleitet werden musste. Ich könne auch direkt dort bleiben hatte es geheißen. Dem stimmte ich nicht zu und wir vereinbarten einen Termin für übermorgen, Sonntag, 17 Uhr.

Meine Tränen waren ein Fluss und ich suchte Rat bei meiner lieben Hebamme. Die Telefonate waren sehr intensiv und schließlich hatte ich es akzeptiert: eine Hausgeburt würde nicht möglich sein und die Geburt würde künstlich eingeleitet in 38+0, also am Sonntag, …morgen, …heute.

Es war also der Morgen der Geburt, soviel stand fest. Wir (mein älterer Sohn, mein Mann und ich) hatten die letzten Tage dem kleinen Untermieter im Bauch alles bestens erklärt, mehrfach. Hatten gesagt wir würden uns heute also in die Augen schauen. Das war doch das was zählte!

Gegen sechs Uhr in der Früh wachte ich auf. Meine Familie schlief noch (das passierte sonst nie), also ging ich zur Toilette und legte mich auch nochmal hin. Als meine beiden wach wurden kuschelten wir uns ins Bett und lasen gemeinsam eine Gute-Morgen-Geschichte. Der Geburtstagstag meines Jüngsten sollte so gemütlich sein wie es nur ging. Es war wirklich ein schöner Sonntagmorgen als ich gegen neun Uhr wieder, diesmal sehr dringend, zur Toilette musste. Ich rollte mich aus dem Bett, hatte schon ein bisschen was in die Hose verloren, und platsch. Ich freute mich sehr, sehr, so sehr, denn ich wusste genau was da passiert war und was jetzt gleich passieren würde! Juchu!

In aller Ruhe bat ich meine Mutter unseren Großen abzuholen und ich machte mich auf den Weg in die Badewanne. Ich rief meine liebe Hebamme an und sagte ihr, dass der Termin in der Klinik heute nicht stattfinden würde, ich sei schon in der Badewanne und meine Blase sei gesprungen. Ich war durchströmt von Glück! Ich war in Trance. Meine Hebamme sagte mir sie würde noch die morgendlichen Hausbesuche bei Ihren Frauen machen, ich sollte mich melden, wenn die Wellen in regelmäßigen Abständen kämen.

Jetzt ist es etwa 9:30 h, Sonntagmorgen. Wie geil ist das denn bitte sehr?! Ich bin zu Hause. In meiner Wanne. Trance. Welle. Mein ältester ist gut aufgehoben. Mein Mann… Welle… bereitet alles vor. Glück! … Welle. Erneut rufe ich meine Hebamme an, denn die Wellenabstände sind schon unter 5 Minuten: »Das wird heute eine schnelle Kiste.« - »OK, ich mache mich direkt auf den Weg.«

Gegen 10:15 h ist meine Hebamme BEI UNS ZU HAUSE. Gelassenheit. Unendliches Glück. Welle. Badewanne. Entspanntheit. Freude. Welle. Gesang. Meine Hebamme singt mit mir, es ist zu schön. Welle.

Zwischen den Wellen unterhalten wir uns entspannt über Dies und Das während mein Mann im Haus rumflitzt und irgendwelche Sachen erledigt. Der Muttermund ist schon sieben oder acht Zentimeter geöffnet. Waaas? Gut über die Hälfte schon geschafft? Ich habe noch nichts gefrühstückt und knabber jetzt an einer Banane. Welle.

Und dann wird es mir zu eng: »Ich muss raus aus der Wanne, ich habe hier keinen Platz mehr.«

Wir singen gemeinsam das Lied der Geburt meines Sohnes, mein Kind kommt. Jetzt. Gänsehaut. Glück. Vierfüßlerstand vor der Wanne. Heiß. Hitze. Gemeinsamer Gesang. Wasser. Glück.

11:13 h - Gesang des Lebens: Er liegt vor mir auf dem Boden, mein kleiner Sohn. Du bist so hübsch mein Lieber, ich glaub es kaum. GLÜCK. FREUDE. Ich muss jodeln. Du bist da! LIEBE. RUHE. UNENDLICHKEIT.

Danke Hebamme, danke Mann, danke Sohn, danke Körper. Ich liebe euch allesamt!

Wir gehen ins Bett. Mein Sohn bleibt bis zum Ende des Pulsierens der Plazenta angenabelt. Er trinkt an der Brust. Er ist gesund. Er ist mein Sohn. Wir sind zu Hause. Es gibt nichts was schöner ist auf der ganzen, ganzen Welt. In der Unendlichkeit der Geburt. In der Unendlichkeit der Zeit danach.

Das ist unser Wunder. Unser Wunder der doppelten Wendung: Am Morgen des geplanten Geburtstages machte sich unser Sohn von selber auf den Weg! Und am Nachmittag denken wir sogar noch daran den Termin in der Klinik abzusagen. »Warum?«, fragt die Frau am Telefon. Ich lache vor Freude. 

Hausgeburt, Du bist das Beste was uns passieren konnte!  


Brief an meine Hebammen:

Ihr lieben Hebammen,

ihr habt den besten und wichtigsten Job auf der ganzen Welt. Ich bin euch so dankbar für euch und eure Arbeit. Verstanden oder gesehen habe ich das allerdings erst nachdem ich Kinder bekommen habe und mich mit der Thematik Geburt angefangen habe zu beschäftigen. Die Wichtigkeit eures Berufes hätte ich vorher nicht verstanden. Ich wünsche mir für euch und alle Frauen, dass die Wichtigkeit eures Berufes gesehen wird und der Beruf entsprechend geschätzt, gefördert und gesichert wird.

Bei euch habe ich so viel gelernt für die Geburt und auch für mein ganzes Leben. Ich habe gelernt mich in Trance zu begeben. Ich habe gelernt loszulassen. Ich habe die Zeit neu kennengelernt und anders verstanden. Ich danke euch von ganzem Herzen, in meinem habt ihr einen ganz besonderen Platz!

Wir machen mit

Arbeitskreis Frauengesundheit e.V.
Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands e.V.
Bundesforum Männer
Deutscher Hebammen Verband e.V.
Geburtshaus Bonn e.V.
Gesellschaft für Geburtsvorbereitung - Familienbildung und Frauengesundheit - Bundesverband e.V.
GreenBirth e.V.
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Institut Life Scienes - Life Writing der Universität Mainz
Hebammen für Deutschland e.V.
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Fakultät Life Sciences
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Geburtskultur - Netzwerk Schweiz
Kreisverband des DHV
LAG Väterarbeit NRW
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Netzwerk Erzählcafé Schweiz
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Förderverein Normale Geburt e.V.
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